Sprech Yoga – mit Worten berühren

Ein Kloß im Hals… wir laufen rot an, wir stammeln oder reden zu schnell… vorbei. Das war unsere Chance. Und keiner hat wirklich zugehört. Wer kennt das nicht? Vorstellungsrunde, Meeting, Familienkonferenz – wir wollen etwas Wichtiges sagen und verpatzen es. Die Worte purzeln ohne Gewicht aus dem Mund und fallen ins Leere. Anstatt in die Herzen unserer Gegenüber. Dabei lag uns so viel daran. Wie können wir unseren Worten mehr Aufmerksamkeit verschaffen? Durch eine simple Technik die auf einem Rhythmus basiert der älter ist als die Menschheit. Ich nenne diese Methode Sprech-Yoga.

Was haben wir Lebewesen alle gemeinsam (Tiere und Pflanzen eingeschlossen)? Wir atmen. Genauer gesagt: Es atmet durch uns. Denn wir machen es nicht bewusst. Dieser überlebenswichtige Vorgang ist automatisiert und findet meist statt ohne dass wir es überhaupt bemerken. Nur wenn die Luft knapp wird oder wir ‚außer Atem’ kommen, tritt dieses Grundbedürfnis ins Bewusstsein. Ansonsten verrichten Zwerchfell und Lungenflügel auch im Tiefschlaf oder sogar im Koma ihre Arbeit weitgehend unbeobachtet – genauso wie unser Herz. Dabei lohnt es sich, den Atem einmal bewusst wahrzunehmen – ohne einzugreifen. Denn sein ewiger Rhythmus ist auch die Grundlage für die vermutlich älteste Kulturtechnik des Menschen: das Sprechen.

Sprechen heißt, wir schließen beim Ausatmen die Stimmlippen. Dadurch entsteht ein Ton, den wir im Mundraum noch zu Lauten und schließlich Worten formen. Auch darüber denken wir oft nicht groß nach. Wir haben als Kleinkinder sprechen gelernt und wenden es seitdem täglich an. Wir haben viel Routine. Und von den im Schnitt 16.000 Worten die wir pro Tag sprechen (manche deutlich weniger, andere deutlich mehr) sind ja auch nicht alle wichtig. Doch manchmal liegt uns etwas am Herzen – und dann sollten wir Tempo rausnehmen. Warum? Weil die meisten nervös sind, wenn sie vor Menschen sprechen oder wenn es – warum auch immer – drauf ankommt. Nervosität jagt Adrenalin durchs Blut und beschleunigt unseren Puls – und damit meist auch unsere Sprechgeschwindigkeit. Sprechen wir zu schnell, steigt die Wahrscheinlichkeit dass wir uns verhaspeln. Weitere Folgen: wir sagen dann häufiger ‚äh’ weil wir nun schneller sprechen als wir denken bzw. im Kopf formulieren können. Und ab einem gewissen Tempo hängen wir zu unguter Letzt auch noch unsere Zuhörer ab, die diesem D-Zug nicht mehr folgen können oder wollen.

Wie kann nun der Atem helfen? Indem wir unsere Worte und Sätze auf seinen Rhythmus setzen. Die meisten denken, atmen sei eine Zweierbewegung, ein Hin und Her, Ein und Aus. Das stimmt nur oberflächlich. Horchen wir genau hin, bemerken wir: es ist ein Dreischritt. Wer seinen Atem einmal still beobachtet, spürt: nach dem Ausatmen gibt es einen Moment der Stille, der Inaktivität bevor sich das Zwerchfell wieder senkt und damit frische Luft einsaugt. Nun weiten sich die Lungen bis wir genügend Sauerstoff haben. Dann kontrahiert sich das Zwerchfell wieder, die Lungen geben nach und die verbrauchte Luft entweicht. Nach jedem Ein- und Ausatmen findet eine kurze Pause statt. Nachts im Schlaf ist diese Pause deutlich länger. Wie genial von der Natur eingerichtet! Denn ohne diese kleine Pause in jedem Atemzyklus wäre Atmen eine Daueraktivität und die beteiligten Muskeln würden vielleicht nicht ein Leben lang durchhalten. Wer sein Zwerchfell mal spüren möchte, muss nur mal schnell hecheln wie ein Hund. Jetzt weißt du wo es ist und dass es funktioniert.

Sprech-Yoga bedeutet, wir übertragen diesen ins Leben eingebauten Rhythmus auf unsere Sprechweise.

Einatmen  ≈  Gedanke fassen

Pause        ≈  Nachklingen lassen

Ausatmen ≈  Gedanke aussprechen

Entscheidend ist die Pause. Hier entsteht die Wirkung. Das ist wie in der klassischen Musik. Da entsteht die größte Spannung oft auch nicht beim Crescendo sondern im Fermate – wenn alle Instrumente kurz innehalten um der gespielten Phrase Raum zu geben, in dem sich die Wirkung erst entfaltet. Damit die Sprechpause auch als Zäsur wirkt, sollten wir am Ende des Satzes mit der Stimme runter gehen, also ‚auf den Punkt sprechen’. Man nennt das auch Stimmtiefschluss. Das Gegenteil, den Stimmhochschluss hören wir oft bei Menschen die ohne Punkt und Komma reden. Diese Girlandensätze klingen immer ein wenig als würden sie fragen statt etwas sagen, weil die Stimme am Satzende oben bleibt und damit alles zu einem einzigen Bandwurmsatz mit vielen Fragezeichen macht. Welcher Teil in diesem Wortverhau dann wirklich wichtig war, bleibt für die Zuhörer unklar.

Sprech-Yoga verleiht unseren Worten also Struktur und Plastizität weil der einzelne Gedanke deutlich hörbar vom nächsten getrennt ist. Durch die Pause wirkt alles was wir sagen, gewichtiger und kraftvoller. Diese Pause ist eines der Geheimnisse natürlicher Autorität. Selbst Banalitäten klingen plötzlich wuchtig und wichtig wenn wir danach eine wirkungsvolle Pause einbauen. Das soll nicht unser Ziel sein, aber wer die Wirkung einer guten Pause kennen lernen möchte kann mal nachspüren wie selbst Nichtigkeiten durch gute Sprechpausen an Gravitas gewinnen. Da wir üblicherweise Angst vor der Stille haben und Sprechpausen schnell als unangenehm empfinden (und deshalb meist mit einem ‚äh’ füllen) gerät die Pause bei Anfängern meist zu kurz. Nur das Gegenüber kann beurteilen ob die Länge angemessen war und noch die Spannung gehalten hat. Wir selbst pausieren 0,8 Sekunden und empfinden das schon als Pause. Faustregel: wenn es sich für uns selbst etwas zu lang anfühlt geht es in die richtige Richtung.

Das schöne an Sprech-Yoga: es verleiht unseren Worten nicht nur mehr Gewicht. Zugleich baut sich auch unsere Nervosität ab – denn das langsame Sprechen signalisiert dem Kleinhirn: alles gut, ich bin nicht in Gefahr, kannst das Adrenalin stecken lassen.

Und das Beste: die Zuhörer haben dank der Pausen die Möglichkeit das Gesagte auf sich wirken zu lassen. Dadurch sinkt es viel tiefer ein und macht stärkeren Eindruck. Denn wir machen Eindruck durch Ausdruck. Auf die Zuhörer übertragen passiert beim Sprech-Yoga folgendes:

1. Einatmen ≈ Aufmerksamkeit erhöhen (wir spüren die Sprechbereitschaft)

2. Ausatmen ≈ zuhören

3. Pause ≈ gedanklich verdauen, sacken lassen

Wer Sprech-Yoga anwenden möchte kann es vorher üben durch das Vorlesen einfacher Texte. Oder beim Erklären von etwas. Ein Kochrezept diktieren z.B. ergibt meist automatisch diesen Rhythmus. Das sind kurze Sätze und Pausen dazwischen. Nur darauf achten, dass die Stimme am Satzende runter geht.

Unser Atem ist wie Ebbe und Flut. Sich sammeln und verströmen. Denken und sagen. Und wie bei den Gezeiten findet der Richtungswechsel nicht plötzlich statt sondern nach einer gewissen Pause. In der Ruhe liegt die Kraft. Lass deine Gedanken auf dem Atem reiten, dann ergibt sich der richtige Rhythmus von selbst. Denn auch fürs Sprechen gilt wie für jede Aktivität im Leben: mach mal Pause.

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